Aufgeben hätte ja auch nichts gebracht - mein Rennbericht zum Ironman Nizza

Was macht einen guten Wettkampf aus? Ist es das Erreichen des Ziels, das man sich gesteckt hat? Sind es die nackten Zahlen wie Geschwindigkeit und Wattwerte? Oder ist es die gefühlte Leistung, das Optimum für sich selbst an diesem Tag, bei diesen Bedingungen herausgeholt zu haben. Es ist Mittwoch in Nizza. Das Wetter ist gut, die Hitze steht über der Stadt und mit jedem Grad steigt meine Vorfreude auf das Rennen. Stressfrei und gelassen noch vier Tage bis zum Highlight, das eigentliche nur als Zwischenschritt zum den Ironman Hawaii vorgesehen ist. Freitag die 30 km lange Abfahrt noch einmal abfahren, sich mit dem Meer vertraut machen und die letzten kleinen Wettkampfvorbereitungsrituale erledigen. Doch es kommt ganz anders.

Es ist Donnerstag in Nizza. Das Wetter ist gut, die Hitze steht über der Stadt. Beim Aufbau meines Rads bemerke ich einen gebrochenen Basebar. Im Flugzeug fliegen mit Fahrrad ist immer ein Risiko, bei dem man hofft und bangt, dass alles gut geht. Und nun? Carbon mit Riss auf einer waghalsigen Abfahrt mit Serpentinen und steilen Abhängen. Zu heikel. Aber wo lässt sich drei Tage vor dem Rennen in Frankreich eine vollintegrierte Basbar-Vorbau-Einheit der Marke Rose auftreiben?

Es ist Donnerstag in Nizza. Das Wetter ist gut, und die Hitze steigt jetzt auch in meinem Kopf. Es ist Donnerstagnacht in Deutschland. Kurz zusammengefasst, eine Nacht-und-Nebel-Aktions-Kooperation von meiner Frau, Bruder und Schwiegermutter bringt mir den benötigten Lenker nach Nizza. Vielen, vielen Dank! Das Extrabett für letztere beide auf Hawaii ist schon gebucht! Jetzt heißt es Züge, Kabel und Bremshebel entfernen und neu verlegen. Mit dem einzigen Werkzeug einem Mini-Multitool bei einem integriertem Lenker weder einfach, noch spaßig unter Druck. Ein weiteres Mal lobe ich mir hier die Wireless-Schaltung von SRAM, die die Aktion erheblich vereinfacht.

Es ist Freitagabend. Das Rad steht, die Distanz fällt. Bei der Wettkampfbesprechung die Ankündigung: die Radstrecke wird um 24 km, die Laufstrecke um 11 km verkürzt. Ernüchterung. Die Hitze ist in Frankfurt sogar höher, jedoch geben die Luftqualität, die man deutlich im Wettkampf zu spüren bekommt, und fehlende Rettungskräfte für die Allgemeinbevölkerung den entscheidenden Ausschlag. Also Watt-Werte anpassen, Tempotabellen justieren. Schade besonders für die Athleten, die ihre erste (und vielleicht einzige) Langdistanz machen wollten. Für mich im Nachhinein gut für die Regenerationszeit in Hinblick auf Kona.

Es ist Sonntag früh, halb sieben. Wetter, Hitze, blabla… Nicht nur wegen der Anspannung und dem selbst ernannten Drucks ist es eine große Erleichterung endlich und mit funktionsfähigen Equipment an der Startlinie stehen zu können. Da kann mich nicht einmal die Neofreigabe bei einer Wassertemperatur von scheinbar genau 24,5°C aus dem Konzept bringen. Die Sinnhaftigkeit von einem Kälteschutz, der die ersten bei einer Außentemperatur von 28°C bereits vor der Startlinie zum Wanken bringt, sei hier mit einem großen Fragezeichen versehen.Zwei Schwimmrunden sind zu absolvieren. Wer die Badekappen gleichfarbig zu den Bojen gewählt hat, ist wohl noch nie im Freiwasser mit Wellengang geschwommen. Aber im Grunde ist es auch egal: Es gilt den roten und gelben Punkten zu folgen und diese zu umschwimmen. Ob sie sich jetzt nun bewegen oder am Meeresgrund verankert sind, spielt dabei nur für die Mafia eine Rolle. Schwimmzeiten im Freiwasser sind immer mit Vorsicht zu genießen, nach 51:33 min vom Gefühl her jedoch ein gutes Schwimmen. Und im Meerwasser ist der Salzbedarf des Tages auch gedeckt. Mit Freude über ein funktionierendes und von der Ausrüstung her top ausgestattetes Rad mit SRAM Red AXS und Zipp 808 NSW geht es auf die Radstrecke über 152 km und 2000 HM, glücklicherweise ebenso viele bergab. Ob es jetzt an meiner fehlenden Leistungsfähigkeit an diesem Tag oder doch an den Abweichungen des kurz vorher ausgetauschten Powermeter liegt, fahre ich meinem Plan bereits nach 30 km gnadenlos hinter. Zwischendurch an der Spitze des Amateurfelds muss ich am Ende der Radstrecke die Rechnung zahlen und unter anderem auf der technischen Abfahrt noch ein paar Athleten ziehen lassen. Auf der Rolle sieht das Lenken und Kurven fahren viel einfacher aus. Als zweiter der Altersklasse vom Rad bei zwei verfügbaren Slots hoffe ich, völlig entkräftet, auf meine Läuferbeine, die schon so oft die Radfahrbeine zur rechten Zeit abgelöst hatten. Sie wollen heute nicht. Sieben Kilometer lauf und schleppe ich mich mit über 40 s/km über meiner Zeitvorgabe über die Strecke, nur darauf wartend endlich überholt und endgültig das Tempo auf ein Minimum reduzieren zu können. Doch meine Frau am Streckenrand, die die Zwischenzeiten übermittelt, baut mich mental wieder auf. Beim Vorsprung von sieben Minuten auf Platz drei der Altersklasse, und dem erste schon in Sichtweite wird mir klar: Du musst heute nicht schnell sein, nur weniger langsam als die anderen.Gehen kam bisher für mich im Wettkampf nie in Frage. Beschleunigen, wieder Anlaufen nicht nur mental ein Graus. Doch so vieles ist anderes an diesem Tag. Alle 1,7 km bleibe ich an den am Streckenrand aufgestellten Duschen für 5-10 Sekunden stehen, an den Getränkestationen nehme ich mit was ich zu fassen bekomme. Eine Dusche wegen Überfüllung ausgelassen, bekomme ich auf der nächsten Meile in Form von Schwindel zu spüren. Auf vier Minuten pendelt sich der Abstand zur Konkurrenz auf der zweiten Hälfte ein. Dennoch treibt mich die Angst noch abgefangen zu werden Richtung Ziel. Nach dem Zielbanner an der Ziellinie zu greifen, reicht die Kraft jedoch nicht mehr. Halb der Gedanke, dass es gar nicht für mich bestimmt ist, halb gar nichts mehr denkend, versuche ich unbeholfen über das am Boden liegende Zielbanner zu steigen. Ein Bild für die Götter.

 

Es ist Sonntagnachmittag. Ein ganz normaler Sonntagnachmittag. Die Vögel zwitschern, das Meer rauscht. Ich liege im Gras und schaue in den wolkenlosen Himmel. Irgendwie hab ich es in den Athletengarten geschafft. Irgendwie habe ich die Qualifikation für Hawaii geschafft. Also von Normalität keine Spur. Es war der härteste Wettkampf meines Lebens, beim Laufen habe ich noch nie so gelitten.

Es ist kaum was los. 17 Athleten sind vor mir im Ziel gewesen. Die restlichen 3000 werden in den nächsten Stunden folgen. Allein beim Gedanke noch Stunden auf der Laufstrecke zu verbringen, empfinde ich große Anerkennung gegenüber jedem Finisher. Also: Was macht einen guten Wettkampf aus? Ist es das Erreichen des Ziels, das man sich gesteckt hat? Sind es die nackten Zahlen wie Geschwindigkeit und Wattwerte? Oder ist es die gefühlte Leistung, das Optimum für sich selbst an diesem Tag, bei diesen Bedingungen herausgeholt zu haben. Ich kann sagen, das Optimum an Training in den letzten drei Jahren habe ich rausgeholt, die Vorbereitung in den Tagen vor dem Wettkampf liefen dagegen alles andere als ideal und auch wenn ich im Wettkampf bis an die Grenze gegangen bin, gibt es hinsichtlich des Pacings noch Optimierungspotential. Und Zahlen? Die einzigen Zahlen, die ich nennen möchte sind Platz 1 Altersklasse, 4. Agegrouper, 18. Overall. Denn auch auf die Gefahr hin mich zu wiederholen, neben hartem und kontinuierlichem Training, Ehrgeiz und einem klaren Ziel mit der Unterstützung meiner Frau und Familie, haben mich zwei Leitsprüche heute ins Ziel gebracht: „Du musst nicht schnell sein, nur weniger langsam als die anderen!“ und „Aufgeben hätte ja auch nichts gebracht“. Ja, es war ein guter Wettkampf. Und das Beste daran, es war nicht die letzte Langdistanz in diesem Jahr, nicht die mit der besten Luft und zum Glück auch nicht die Heißeste. Hawaii ruft. Nizza ist Geschichte. Doch wie hieß es so schön in einem Zeitungsartikel von vor 3 Jahren: Die Reise ist noch nicht zu Ende. Der Traum bei der Siegerehrung des Ironman Hawaii auf der Bühne zu stehen lebt. Nächster Schritt Ironman 70.3 WM in Nizza, ein gutes Pflaster. Denn vor der WM ist vor der WM.

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