Bestzeiten um jeden Preis? Wie sich Triathleten ihre Zeiten schönreden

Winterzeit ist Testzeit, Zeit für Trainingswettkämpfe. Der gemeine Triathlet wird zum Läufer, schließt sich Volksläufen an und ist kaum von der ganzjährig ausschließlich joggenden Masse zu unterscheiden, wären da nicht die Merkmale, die ihn vom reinen Läufer deutlich abheben: die Kompressionssocken, der Visor, der übrigens auch vor Schnee schützt, das Startnummernband und im schlimmsten Fall der Einteiler; mit Nationalflagge, versteht sich. 5 Kilometer, 10 km, Halbmarathon, die Jagd nach der Form ist eröffnet. Viele dieser Volksläufe werden von kleineren Vereinen und Gemeinden organisiert, führen quer durch den Wald, über Wiesen und Misthaufen und haben, wurden sie nicht gerade höchstkompliziert amtlich vermessen, am Ende eine Länge von der angegebenen Strecke plus minus 500-600 m. Wer soll es ihnen verdenken. Die genaue Strecke ist sekundäre, was zählt ist der Spaß und die Kuchentheke im Ziel. Aber nicht mit uns Triathleten. Ok, die Kuchentheke vielleicht schon, aber Spaß? Wieso laufen, wenn nicht für die Jagd nach der vermeintliche Bestzeit. Unabhängig vom Spaß ein großer Fehler:

 

Wie Volksläufe das strukturierte Training durcheinanderbringen:

Nehmen wir an, ein 10-km-Lauf wurde in einer neuen Bestzeit von 40 min absolviert. Die tatsächliche Strecke betrug jedoch 9,6km. Strava bestätigt, GPS bestätigt, auf der Webseite jedoch grob als 10-km-Lauf deklariert, glaubt der Finisher natürlich, was er glauben möchte. Knapp 100 Sekunden hat er sich durch die verkürzte Strecke gespart, zehn Sekunden pro Kilometer. Im besten Fall postet und post er mit seiner Fabelzeit in den sozialen Medien, zieht jedoch keine Konsequenzen in seinem Training. Im schlimmeren Fall, im Glauben über die neue Fabelzeit, passt er seine Laufgeschwindigkeiten der vermeintlich neuen Leistungsfähigkeit an und wird gnadenlos scheitern. Wer schon einmal versucht hat, seine Intervalle 10 s/km über seiner Pace zu laufen, wird mir Recht geben. Ab jetzt wird der laufende Triathlet seine Läufe zu schnell gestalten, sich verletzen oder zumindest das ganze Jahr seinen Erwartungen hinterherlaufen. Das ganze Jahr? Nein, denn bald beginnt die Triathlon-Saison und das Spiel beginnt von vorne:

Wieso Bestzeiten im Triathlon Blödsinn sind, und warum auch nicht?

Auf einer olympischen Distanz muss man 1,5km Schwimmen, 40km Rad fahren und 10km Laufen. Auf einer Langdistanz sind es 3,8 km, 180 km und 42,2 km, das ist klar, quasi ein Gesetz und fest auf die Wade tätowiert. 3,6/174/40,9 sähe ja auch blöd aus, auch wenn es meistens mehr der Wahrheit entspricht. Kein Triathlon ist amtlich vermessen, es besteht einfach keine Notwendigkeit dafür. Deshalb gibt es zu Recht keinen Weltrekord im Triathlon. Wer was anderes behauptet, hat noch nie zwei verschiedene Triathlon-Rennen oder den gleichen in zwei verschiedenen Jahren gemacht. Dennoch liest man immer wieder in Wettkampfberichten etwas über Zeiten, die schneller sind, als die jemals im reinen Lauf gelaufenen wurden. Die Streckenlänge kritisch zu hinterfragen kommt jedoch selten in Betracht. Es könnte ja einen negativen Einfluss auf die gelaufene Zeit haben. Aber was bringt es einem den abschließenden Lauf im Triathlon in vermeintlicher Bestzeit zurückgelegt zu haben und am Ende der Saison beim amtlichen vermessenen Zehnern dieser Zeit gnadenlos hinterherzurennen? Ist euch aufgefallen, wie über die 5km zu lange Radstrecke beim Ironman Frankfurt eine hitzige Diskussion entbrannte. In jedem Bericht, in jeder Erzählung fehlte auf keinen Fall der Anhang „aber es war auch 5km zu lang“. Wie viel Erwähnung hätte wohl eine 5km verkürzte Radstrecke gefunden. „Ja, unter X h, aber die Radstrecke war auch zu kurz“. Eher die Ausnahme.

Dabei sollte man nicht nur vermeiden gleiche Strecken, sondern auch zwischen derselben Strecke zu unterscheiden. Zu viele Einflussmöglichkeiten ergeben sich im Outdoor-Sport Triathlon. Was gab es für ein Hurra in den triathlonunkundigen Kreisen, als Patrick Lange 2018 auf Hawaii den Streckenrekord gebrochen hat. Dass die meisten Sieger der letzten 30 Jahre bei den Bedingungen wohl schnellere Zeiten in den Asphalt gebrannt hätten, wurde dabei völlig missachtet.

Selbst in den World Championship Serie werden in einschlägigen Medien Zeiten verschiedener Triathlon-Rennen verglichen. Warum? Wieso sind 15 Minuten auf flachen 4,9 km besser als 15:10 Minuten auf topfebenen 5,1 km? Unabhängig von dem Streckenprofil und der ungenauen Streckenlänge ist auf Grund der taktischen Komponente dies genauso sinnvoll, wie die Zeiten der Finale des 1500m-Laufs bei den Olympischen Spielen oder die Zeiten der Sieger bei der Tour-de-France miteinander zu vergleichen.

Zeiten sind allgegenwärtig. Sie irritieren, aber sie können auch fokussieren und motivieren. Auch ich habe ein paar sportliche Ziele. Ja, auch Zeitziele. Eine Langdistanz unter 8:30 h, eine Mitteldistanz unter vier. Weil, wenn man mal ehrlich ist, 9 h in Roth besser klingen als eine 9:30h in Nizza, weil eine 9 h 2018 auf Hawaii besser klingt, als eine 9:20 h im Folgejahr, auch wenn die Leistung wohl miteinander vergleichbar wäre. So kann man seinen unwissenden Kollegen und Freunden seine Leistung, in die man so viel Zeit gesteckt hat, besser verkaufen. Also freut euch über eure Zeiten. Jedoch zu eurem eigenen Wohl, bleibt realistisch, so macht Fortschritt deutlich mehr Spaß!

Schöne Weihnachten!

#ProE #Lachtat #triandaero

 

Als Ergänzung meines Blockbeitrags „Bestzeiten um jeden Preis? Wie sich Triathleten ihre Zeiten schönreden“ muss ich noch eine Geschichte loswerden, die noch einen Schritt weiter geht und wie ich sie noch nicht erlebt habe.

Es ist Anfang Mai 2019 bei der 10km-Dämmermarathon-Laufveranstaltung in Mannheim. Die 10-km-Strecke ist amtlich vermessen. Wer sich schon mal mit den Regularien auseinandergesetzt hat, weiß, dass somit die 10 km wirklich sehr genau an die tatsächliche Streckenlänge herankommen.  Wir befinden uns im Zielbereich, wo die Zieluhr ohne Mitleid in ihren Mitvierzigern Sekunde um Sekunde heraufzählt. Ein Läufer erreicht die Finishlinie. Aber nicht wie andere stoppt er seine Uhr und lässt sich auf den Boden sinken, sondern läuft durch den Zielbogen hindurch, sprintet an den verdutzten Helfern und Finisher-Medaillen-Überreichern vorbei bis zum Ende des Finisher-Areals um an den Gattern wieder umzudrehen und nun von der anderen Seite Richtung Ziel zu laufen. Kurz bevor er die Linie erreicht ertönt ein erlösendes Piepsen seiner Uhr und der Läufer sackt in sich zusammen.

 

 

Ich möchte nicht so weit gehen die Sinnfrage des Lebens, zumindest jedoch die Sinnfrage eines solchen Laufes zu stellen: Was war soeben passiert? Nach dem Motto „Wenn auf STRAVA 9,9 km steht, dann waren es keine 10, selbst bei einem vermessenen Lauf nicht“ hatte seine GPS-Uhr im Ziel wohl 100 m zu wenig angezeigt. Dass ein amtlich abgemessener 10er wohl genauer ist als seine Uhr in den Häuserschluchten interessierte den Läufer wohl nicht oder er wollte auf den Sportlerplattformen unbedingt 10,00 km stehen haben. So rannte er seine Extrarunde, zur Verwirrung aller Beteiligten. Abhängig, ein Sklave seiner Zeit.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0